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Unionsinterne Investitionsschiedsgerichtsbarkeiten verstoßen gegen das Unionsrecht

Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat am 6. März 2018 ein Urteil i.S. Achmea gegen die Slowakische Republik (C‑284/16) erlassen, in dem er entschieden hat, dass die in zwischen den Mitgliedsstaaten der Europäischen Union abgeschlossenen Investitionsschutzabkommen (sog. unionsinternen BIT) enthaltenen Schiedsklauseln mit dem Unionsrecht unvereinbar sind.

Hintergrund der Streitigkeiten um die unionsinternen BIT

Die Problematik der sog. unionsinternen Investitionsschutzabkommen (d.h. Abkommen, die die Mitgliedssatten untereinander abgeschlossen haben) wurde zum Gegenstand des breiten Interesses nach der großen EU-Erweiterung in 2004, im Rahmen welcher der EU u.a. acht postkommunistische Länder des Mittel- und Osteuropas (und anschließend in 2007 auch Rumänien und Bulgarien) beigetreten sind. Diese Länder haben insbesondere in den 90er Jahren im Rahmen des Übergangs zur Marktwirtschaft im Streben danach, ausländisches Kapital heranzuziehen, eine Menge bilateraler Investitionsschutzabkommen mit entwickelten Ländern, insbesondere mit den damaligen Mitgliedsstaaten abgeschlossen. In der nächsten Welle haben sie dann zahlreiche BIT untereinander abgeschlossen. Nachdem diese Länder der EU beigetreten sind, erlangten die vorgenannten Abkommen als zwischen den Mitgliedsstaaten abgeschlossene internationale Abkommen den unionsinternen Status. Gleich nach dem EU-Betritt der neuen Mitgliedsstaaten in 2004 nahmen die Diskussionen zu den unionsinternen BIT an der Intensität zu. Damals tauchten zum ersten Mal Fragen auf, ob diese Abkommen weiterhin überhaupt gültig sind, ob sie nicht gegen das Unionsrecht verstoßen und ob deren weiteres Bestehen überhaupt erwünscht ist.

Es ist dabei typisch, dass die Frage der unionsinternen BIT neben den juristischen Aspekten auch politische Überlappung hat. Die unionsinternen BIT dienten als Grundlage für viele Investitionsstreitigkeiten, die fast ausschließlich gegen die neuen Mitgliedsstaaten geführt wurden. Im Anschluss an diese Entwicklung fingen einige dieser Staaten an, die Vorteilhaftigkeit des unionsinternen rechtlichen Investitionsschutzes umzuwerten. Zu den größten Gegnern dieser Abkommen gehören langfristig auch Tschechien und die Slowakei, die die Gültigkeit und Anwendbarkeit der unionsinternen BIT in Investitionsstreitigkeiten in Frage gestellt haben. In den letzten Jahren tauchten Nachrichten über die Umwertung des Ansatzes zu den unionsinternen BIT z.B. auch aus Rumänien, Polen, Ungarn auf. Am rasantesten war das Vorgehen Italiens, das in 2013 alle ihren unionsinternen BIT einseitig gekündigt hat. Ein großer Teil der ursprünglichen Mitgliedsstaaten will dagegen diese zum Schutz ihrer Investoren abgeschlossenen Abkommen auch weiterhin aufrechterhalten. Eine spezifische Stellung nimmt die Europäische Kommission ein, die langfristiger Kritiker der anhaltenden Existenz dieser Abkommen ist. Nach den durch die Kommission bei diversen Gelegenheiten präsentierten Ansichten seien diese Abkommen mit dem Unionsrecht inkompatibel und sollten in unionsinternen Investitionsstreitigkeiten nicht mehr anwendbar sein.

Frühere Entscheidungen der Schiedsgerichte und der Weg zum Europäischen Gerichtshof

Mit den Fragen der unionsinternen BIT und des Unionsrechtes befassten sich einige Schiedssprüche in unionsinternen Investitionsschiedsgerichtsbarkeiten. Als die wichtigsten können die Sprüche i.S. Eastern Sugar gegen die Tschechische Republik und i.S. Achmea (früher Eureko) gegen die Slowakische Republik  angesehen werden, die durch ein Zusammentreffen der Umstände beide nach dem zwischen der Tschechischen und Slowakischen Föderativen Republik (CSFR) und den Niederlanden abgeschlossenen BIT, aus dem die Verbindlichkeiten durch Tschechien und die Slowakei als Nachfolgestaaten übernommen wurden, beigelegt wurden. Sowohl Tschechien als auch die Slowakei wandte in diesen Streitigkeiten ein, die Gültigkeit des betreffenden BIT sei automatisch durch den EU-Beitritt Tschechiens bzw. der Slowakei beendet worden, da sowohl BIT als auch das Unionsrecht denselben Gegenstand abdecken und deren parallele Anwendung ausgeschlossen sei. Gleichzeitig argumentierten sie damit, dass die in Artikel 8 des zwischen CSFR und den Niederlanden abgeschlossenen BIT enthaltene Schiedsklausel nicht abwendbar sei, da der Mechanismus zur Beilegung von Streitigkeiten in Form einer Investitionsschiedsgerichtsbarkeit gegen das Unionsrecht verstieße. Keines der Schiedsgerichte hat sich mit diesen Argumenten identifiziert und beide stellten ihre Zuständigkeit zu der sachlichen Behandlung der Streitigkeit fest. Beide gelangten u.a. zu dem Schluss, dass die Regelung des BIT und die Bestimmungen des Unionsrechtes nicht gegenseitig unvereinbar, sondern komplementär sind.

Die Slowakei hat die durch das Schiedsgericht in der Streitigkeit mit der Gesellschaft Achmea erlassenen Sprüche vor deutschen Gerichten angefochten, die zur Entscheidung über die Aufhebung der Sprüche zuständig sind, da der Sitz des Schiedsgerichts in diesem Falle in Frankfurt am Main war. Die Sache gelangte im Rahmen des Verfahrens über den Kassationsrechtsbehelf bis vor das deutsche Oberste Bundesgericht, das sich entschieden hat, die Frage zu der Kompatibilität der in Artikel 8 BIT zwischen CSFR und den Niederlanden enthaltenen Schiedsklausel mit dem Unionsrecht dem EuGH zur Vorentscheidung vorzulegen.

Urteil des EuGH

Im Verfahren vor dem EuGH zeigte sich mit voller Kraft, wie sehr die Frage bei unionsinternen Investitionsschiedsgerichtsbarkeiten kontrovers ist. Tschechien, Estland, Griechenland, Spanien, Italien, Zypern, Lettland, Ungarn, Polen, Rumänien und die Kommission legten dem EuGH ihre Stellungnahmen zur Unterstützung der Argumente der Slowakei vor, während Deutschland, Frankreich, Niederlande, Österreich und Finnland behaupteten, dass die strittige Schiedsklausel und allgemein ähnliche Schiedsklausel, die in anderen zwischen den Mitgliedsstaaten zurzeit gültigen bilateralen Investitionsschutzabkommen gewöhnlich verwendet werden, gültig und anwendbar seien. Am 19. September 2017 hat in der Sache sein beratendes Gutachten der Generalanwalt Wathelet vorgelegt, der die Ansicht ausgesprochen hat, dass der Mechanismus zur Beilegung von Streitigkeiten zwischen einem Investor und einem Mitgliedsstaat gemäß einem unionsinternen BIT gegen das Unionsrecht nicht verstieße. Obwohl der EuGH in der Regel den Schlussanträgen des Generalanwalts folgt, hat die Große Kammer in dem vorliegenden Falle umgekehrt entschieden.

In seinem Urteil stellt der EuGH fest, dass die Slowakei und die Niederlande durch den Abschluss des BIT einen Mechanismus zur Beilegung von Streitigkeiten geschaffen haben, der nicht gewährleisten kann, dass in den Streitigkeiten zwischen dem Investor und dem Staat die volle Wirkung des Unionsrechtes erhalten bleibt. Das Gericht hat darauf hingewiesen, dass das Schiedsgericht im Rahmen der Beilegung der Streitigkeit zur Auslegung und Anwendung der Normen des Unionsrechtes hingezogen werden kann, das erstens Bestandteil des nationalen Rechts der Mitgliedsstaaten und gleichzeitig Quelle des zwischen den Vertragsparteien des BIT gültigen internationalen Rechts darstellt. Andererseits gehört das Schiedsgericht nicht zum Gerichtssystem der EU und kann daher im Unterschied zu den Gerichten der Mitgliedsstaaten dem Gerichtshof keine Fragen zur Vorabentscheidung hinsichtlich der Auslegung der Normen des Unionsrechtes vorlegen. Auch hat das Gericht darauf hingewiesen, dass die Kontrollmöglichkeiten der erlassenen Schiedssprüche durch die Gerichte der Mitgliedsstaaten (z.B. in Bezug auf deren Einklang mit dem Unionsrecht) nur sehr begrenzt sind. Aufgrund dieser Charakteristiken ist der Mechanismus zur Beilegung von Streitigkeiten in Form einer Investitionsschiedsgerichtsbarkeit gemäß dem BIT, der eine bestimmte Kategorie von Streitigkeiten der Zuständigkeit der Gerichte der Mitgliedsstaaten entzieht, laut EuGH geeignet, neben dem Grundsatz des gegenseitigen Vertrauens zwischen den Mitgliedsstaaten auch die Erhaltung des eigenen Charakters des Unionsrechtes als autonomen Rechtssystems in Frage zu stellen, und ist daher nicht mit der Verpflichtung zur loyalen Zusammenarbeit der Mitgliedsstaaten und der Unionsorgane vereinbar.

Auch ist es wichtig zu erwähnen, dass der EuGH die Investitionsschiedsgerichtsbarkeit, bei der die Zuständigkeit der Schiedsgerichte zur Beilegung von Streitigkeiten zwischen einem Investoren und dem Staat durch ein internationales Abkommen begründet ist, ausdrücklich von einer Handelsschiedsgerichtsbarkeit bzw. einem klassischen Schiedsverfahren unterschieden hat, die bzw. das auf einer Vereinbarung der Streitparteien über die Art und Weise der Beilegung der Streitigkeit beruht. Zu einer effizienten Anwendung des Unionsrechts im klassischen Schiedsverfahren äußerte sich der EuGH in vielen anderen Entscheidungen, ohne die Zulässigkeit des Schiedsverfahrens als solches in Frage zu stellen.

Zukunft der Investitionsschiedsgerichtsbarkeiten in der EU

Das Urteil des EuGH i.S. Achmea gegen die Slowakei löst ganz bestimmt große Kontroversen aus. Ganz überraschend sind seine Schlüsse jedoch nicht, da sie der früheren Rechtsprechung entsprechen, in der der EuGH die Autonomie und Integrität des Unionsrechtes (in seiner eigenen Auffassung) vor tatsächlicher oder vermuteter Gefährdung in Form von jeglichen konkurrenzorientierten Gerichts- oder quasi-Gerichtsmechanismen, die teilweise oder ganz außerhalb des Rahmens des Gerichtssystems der EU stehen, sorgfältig überwacht. Eine große Welle der Kritik löste insbesondere das Gutachten 2/13 aus 2014 aus, in dem der EuGH den geplanten Beitritt der EU zu der Europäischen Menschenrechtskonvention, der i.S. der Verletzung der Konvention die Unterwerfung der Union der Gerichtsbarkeit des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte mit sich bringen würde, abgelehnt hat. Man kann sagen, dass das Gericht in dieser Art und Weise im bestimmten Sinne die umfangreiche Autonomie des Unionsrechtes nicht nur in Bezug auf das nationale Recht der Mitgliedsstaaten, sondern auch in Bezug auf das internationale Recht durchsetzt.

Es steht fest, dass das Urteil des Gerichts sich ganz erheblich auf die Möglichkeit der Investoren zur Führung von Investitionsschiedsgerichtsbarkeiten gegen die Mitgliedsstaaten auf Grundlage der unionsinternen BIT auswirkt. Obwohl diese Abkommen weiterhin gültig bleiben und die Schiedsgerichte an das Urteil des EuGH nicht formal gebunden sind, können sie es nur schwer ignorieren. Auch in den bisherigen unionsinternen Streitigkeiten haben die Schiedsgerichte in der Regel anerkannt, dass sie verpflichtet sind, auch das Unionsrecht zu berücksichtigen, dessen verbindliche Auslegung gerade vom EuGH erbracht wird. Es stellt sich auch die Frage, wie sich die Inkompatibilität der Schiedsklauseln auf bereits erlassene Sprüche und deren Vollstreckung auswirkt (in dem vorliegenden Falle, ob sie einen Grund für die Aufhebung der vom Schiedsgericht in der Streitigkeit Achmea gegen die Slowakei erlassenen Sprüche durch die deutschen Gerichte darstellen wird). Nach den meisten nationalen Rechtsordnungen der Mitgliedsstaaten stellt nämlich den Grund für die Aufhebung eines Schiedsspruchs oder Ablehnung dessen Vollstreckung nicht jeder Verstoß gegen die Rechtsordnung dar, sondern nur ein solcher Verstoß, der die Intensität des Verstoßes gegen die öffentliche Ordnung des Forums erreicht. Besonders in dem vorliegenden Falle zeigt sich in voller Kraft die alarmierende Unausgewogenheit der Lösung, die in der Aufhebung eines bereits erlassenen Spruchs oder Ablehnung dessen Vollstreckung in einer Situation liegt, in der der Aufnahmestaat, der die Rechte des Investors verletzt hat, im Grunde genommen zum Nachteil der privaten Person aus der Inkompatibilität der eigenen internationalen Verpflichtung mit dem Unionsrecht, d.h. aus einem von ihm selbst ausgelösten rechtswidrigen Zustand profitieren will. Weitere Komplikationen aus der Sicht der Dursetzbarkeit des Urteils des EuGH liegen darin, dass der Investor sich nach den meisten BIT für die Führung der Schiedsgerichtsbarkeit nach dem Übereinkommen zur Beilegung von Investitionsstreitigkeiten zwischen Staaten und Angehörigen anderer Staaten (das sog. Washingtoner Übereinkommen oder das ICSID-Abkommen) entscheiden kann, das grundsätzlich jegliche Kontrolle der erlassenen Sprüche seitens der Organe der Vertragsstaaten ausschließt, sowie auch darin, dass sowohl die Investitionsschiedsgerichtsbarkeit als auch die Vollstreckung des Spruchs ganz außerhalb des Gebiets der EU, und somit außerhalb der Reichweite der Gerichte der Mitgliedsstaaten lokalisiert werden können. Es ist anzunehmen, dass das Urteil i.S. Achmea gegen die Slowakei eine koordinierte Aktion der Mitgliedsstaaten und der EU auslöst, die wohl in einer formalen Beendigung der bestehenden unionsinternen BIT liegen wird.

Weiter verbleibt die Frage, ob und ggf. wie das Urteil des EuGH sich auf die zwischen den Mitgliedsstaaten und Drittländern abgeschlossenen BIT auswirkt. Im Urteil suchen wir nur schwierig nach Anzeichen dafür, dass seine Schlüsse auf rein unionsinterne Situationen beschränkt werden sollten. Allerdings ist hier die Situation zumindest darin unterschiedlich, dass die Vertragspartei der sog. unionsexternen BIT ein Drittland ist, das weder an das Unionsrecht noch an die durch den EuGH gebildeten Doktrinen gebunden ist. Die Schiedsgerichte in Streitigkeiten nach den unionsexternen BIT werden somit wohl keinen Grund haben, sich mit der Kompatibilität des Mechanismus zur Beilegung von Streitigkeiten mit dem Unionsrecht zu befassen. Das Gleiche gilt für Streitigkeiten nach neuen Investitionsschutzabkommen, die nach dem Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon von der Europäischen Union abgeschlossen werden.

Weitere Quellen

Den vollständigen Text des Urteils des EuGH finden Sie hier ( http://curia.europa.eu/juris/document/document.jsf?text=&docid=199968&pageIndex=0&doclang=DE&mode=req&dir=&occ=first&part=1&cid=517660 )

Eine detaillierte Analyse der Problematik des Verhältnisses der internationalen Investitionsschutzabkommen und des Unionsrechtes finden Sie in den folgenden Veröffentlichungen:

FECÁK, Tomáš. International Investment Agreements and EU Law. Alphen aan den Rijn: Kluwer Law International, 600 s., 2016 https://lrus.wolterskluwer.com/store/product/international-investment-agreements-and-eu-law/

FECÁK, Tomáš. Mezinárodní dohody o ochraně investic a právo Evropské unie. Praha: Wolters Kluwer ČR, 548 s., 2015

https://obchod.wolterskluwer.cz/cz/mezinarodni-dohody-o-ochrane-investic-a-pravo-evropske-unie.p2590.html

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